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Ratgeber

Ketogene Ernährung, die Nebenniere und das Zen der Kohlenhydrate

Autor/in:
Simone Koch Dr. Simone Koch (Ärztin) Geprüft

geprüft von Sandy Bittner (Autoimmun-Expertin)
letzte Aktualisierung 15.02.2021

Extremismus ist meiner Meinung nach niemals gut, egal wo. Auch wenn ich selbst zu einem on-/off-Verhalten neige, glaube ich, dass der wahre Weg zum Glück meist in der Mitte liegt. Dies gilt meiner Meinung nach auch für den Konsum von Kohlenhydraten. Üblicherweise wird eingeteilt in

„high carb“: der Zuckerjunkie, der am Tag mal locker 800g Monosaccharide verdrückt

und

„low carb“: der Zuckerverächter, der Zucker für das Materie gewordene Böse hält und jede Form von Zuckern, incl. Stärke, meidet wie der Teufel das Weihwasser.

In der Betreuung meiner Klienten fällt mir sehr häufig das gemeinsame Auftreten von zwei Dingen auf:

Noch praktizierte oder vorhergegange langfristige stark kohlenhydratreduzierte Kost und Nebennierenfehlfunktionen.

Der folgende Beitrag soll ein bisschen beleuchten, wo hier der Zusammenhang liegt, und vielleicht die Aufmerksamkeit dafür schaffen, dass Behandlungsweisen, die für den einen lebensrettend sein können, bei jemand anderem katastrophale Auswirkungen haben können.

Unsere heutige extrem zuckerreiche Ernährung kann dafür sorgen, dass die Stoffwechselvorgänge in unserem Körper völlig aus dem Ruder laufen. Eine Ernährungsweise, die nur sehr wenig Kohlenhydrate zur Verfügung stellt und zur erhöhten Ausschüttung von Ketonen führt, kann nachgewiesener Weise den Verlauf einer Krebserkrankung verzögern und das Auftreten von Schüben bei multipler Sklerose vermindern. Beides sind Erkrankungen, die von einer Verminderung der Stoffwechselgeschwindigkeit und einer Herabsetzung der Verbrennleistung in den Zellkraftwerken (Mitochondrien) profitieren. Wenn alles langsamer läuft, vermehrt sich auch der Krebs langsamer.

Von den Anhängern einer dauerhaften ketogenen Diät wurde daraus der Umkehrschluss gezogen, dass jede Art von Zuckern/Kohlenhydraten schlecht sei, und das wir umso gesünder werden, desto weniger wir davon essen. Prof. Lustigs Hinweis in „Sugar: A bitter truth“, dass der Konsum von Nudeln (Mittelmeerraum) und Reis (Okinawah) dem sehr langen, gesunden Leben der Menschen dort in keiner Weise schadet und Dr. Elisabeth Steinhagen-Thiessens (eine der Forscherinnen zu ketogener Diät an der Charité) Hinweis, dass eine ketogene Diät NUR unter ärztlicher Aufsicht bei besonderen Indikationen durchgeführt werden sollte, werden von Anhängern der Low Carb- und Very Low Carb-Ernährung geflissentlich ignoriert. Wenn zuviel von etwas schlecht ist, dann muss doch wenig oder fast gar nichts davon besonders gut sein. Und was bei Krebs gut ist, schützt bestimmt auch vor Krebs…

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Und tatsächlich fühlt man sich mit einer solchen Ernährung (LC KH <50g/d oder VLC KH <30g/d) nach der Umstellungsphase zunächst großartig. Man braucht weniger Schlaf, man entwässert und hat scheinbar unendliche Energievorräte. Ein bisschen fühlt es sich an, als ob man an einer ständigen, intravenösen Kaffee-Infusion hängen würde…

Und das tut man auch tatsächlich, im übertragenen Sinne: Die Nebennieren laufen auf Hochtouren und versorgen uns mit körpereigenen Steroiden. Man fühlt sich klar und fokussiert, braucht kaum noch Schlaf, Entzündungen werden besser, der Muskelaufbau klappt problemlos und der Fettabbau ebenso. Die Stimmung ist zudem stabil bis euphorisch. Bekannt ist dieses Phänomen von Kraftsportlern, die Steroidhormone spritzen. Hier bezeichnet man es als Steroidpsychose.

Aber warum machen die Nebennieren das? Ebenso wie unser Gehirn und unsere roten Blutzellen sind unsere Nebennieren essentielle Glukoseverwerter. Während sich unser Gehirn innerhalb von ca. 14 Tagen umstellen kann, können die Nebennieren dies jedoch nicht.

In Abwesenheit von Zucker müssen sie sich diesen also irgendwie anders besorgen. Um aus Protein Zucker zu gewinnen und besonders nachts gefährliche Unterzuckerzustände zu vermeiden, werden dann vermehrt Adrenalin und Noradrenalin vom Nebennierenmark und vor allem Cortisol von der Nebennierenrinde ausgeschüttet. Das klingt nun schon nicht wirklich gut und gesund, unterlegt wird dieses aber noch durch eine Studie, in der gezeigt werden konnte, dass die Schlafqualität sich schon nach 48 Stunden einer „Very low carb“-Ernährung signifikant verschlechtert, da der hohe nächtliche Cortisolspiegel einen Eintritt in den Tiefschlaf verhindert. Es schläft sich einfach schlecht, wenn der Körper an jeder Ecke einen Säbelzahntiger vermutet.

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Durch den wenig erholsamen Schlaf sinkt auch die eigene Stresstoleranz – viele Menschen sind binnen Sekunden auf 180. Gerne wird dieses Phänomen auf einen angeblich erhöhten Spiegel an männlichen Geschlechtshormonen durch die proteinreiche Ernährung geschoben. Tatsächlich ist das DHEA, ein Vorläufer vom Testosteron, in diesem Fall wirklich meist erhöht, allerdings ist dies ein weiteres Zeichen für eine starke Stressbelastung des Körpers. DHEA ist übrigens ein Hormon, das in der Stressantwort und -Bearbeitung ein große Rolle spielt.

Wer also die Kerze von beiden Seiten anzündet, läuft schnell Gefahr sich zu verbrennen. Wenn die Kompensationsmechanismen des Körpers am Ende sind und die Nebennieren Urlaub brauchen, kehren sich diese positiven Effekte ins Gegenteil um.Bei denjenigen, die schon eine lange Diätkarriere hinter sich haben und deren Stoffwechsel bereits stark reduziert läuft, geht dies schneller, bei anderen kann es ein  paar Jahre gut gehen, bis sie diesen Punkt erreichen.

Welche physiologischen Prozesse liegen hier zu Grunde?

Normalerweise laufen alle Prozesse in unserem Körper mit Hilfe von Glukose. Dies ist am effizientesten und es fallen wenig bis keine Abfallprodukte an. Die Muskulatur und die Leber besitzen Speicher, in denen Glukose in Form von Glykogen abgelegt wird, um bei Bedarf schnell und unkompliziert zur Verfügung zu stehen. Ersatzweise können die aus Fettsäuren gewonnenen Ketonkörper zur Energiegewinnung herangezogen werden, ihre Verbrennung ist jedoch deutlich ineffizienter und es fallen Abfallprodukte an, die dann vom Körper entsorgt bzw. weiter verarbeitet werden müssen.
Ein Molekül Glukose stellt unter aerober Verstoffwechselung 8 ATP (Adenosintriphosphat, die kleinste Energieeinheit des Körpers) zur Verfügung, ein Molekül Ketonsäure nur 2 ATP.

Daraus folgt, und alle ambitionierten Sportler wissen das aus eigener Erfahrung: Nur mit Hilfe von Glukose können wir unsere volle Leistungsfähigkeit entfalten. Bei gut trainiertem Fettstoffwechsel können auch vermehrt Fettsäuren verarbeitet und damit eine länger andauernde Leistung erbracht werden. Doch um das Fett effektiv zu verbrennen, braucht es ebenfalls kleine Mengen Glukose, um das Verbrennungsfeuer am Laufen zu halten. Steht diese nicht zur Verfügung sinkt die tatsächliche Leistungsfähigkeit erheblich.

Einige Organe unseres Körpers können sogar NUR Glukose verarbeiten: Die Nebennieren, die roten Blutkörperchen und das Gehirn. Das Gehirn kann lernen mit Ketonkörpern zu leben, diese Umstellung dauert ca. 14 Tage, die anderen beiden Organe können dieses jedoch nicht.

Was passiert also im sogenannten „Fastenstoffwechsel“, in den unser Körper automatisch fällt, wenn wir ihm die Kohlenhydrate nahezu vollständig entziehen?

Unser Körper fühlt sich gestresst. Der hohe Glukagonspiegel, sowie die niedrigen Insulin- und Leptinspiegel  bewirken eine katabole Stoffwechsellage und damit eine starke Stimulation der Nebennieren Stresshormone zu produzieren. Diese Vorgänge führen dann zu den beschriebenen Symptomen wie hoher Aufmerksamkeitslevel, leichte Nervosität, hoher Energielevel, weniger Schlafbedarf und hoher Energieumsatz. Letzterer wiederum  führt dazu, dass man quasi wie von selbst Fett verbrennt…

Ob dieser Mechanismus bei der allgegenwärtigen Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln dabei helfen soll, wach, stark und fit genug zu sein, um etwas zum Essen zu beschaffen, ist eine nicht ganz abwegige Spekulation.

Welche Auswirkungen hat das weiterhin?

Die auf Hochtouren laufenden Nebennieren brauchen wie gesagt Glukose. Da diese nicht zugeführt wird, muss sie anderweitig „besorgt“ werden, und da unser Körper aus Fett keine Glukose herstellen kann, benutzt er Protein dafür. Bei ausreichender Proteinzufuhr baut er zunächst das Nahrungsprotein zu Glukose um.

Während körperlicher Betätigung und mit der Zeit auch während Ruhephasen (die Fähigkeit zur schnellen Aufspaltung von Eigenproteinen wird bei dauerhaftem Fastenstoffwechsel stark erhöht) bedient der Körper sich jedoch am Eigenprotein aus dem Muskel. Der Muskelmasseverlust führt zu einer Verminderung des Ruheumsatzes.

Gleichzeitig werden bei jedem aus Protein gewonnenen Glukosemolekül Wasserstoffionen frei, die den Körper übersäuern. Die Übersäuerung verringert wiederum den Ruheumsatz und vermindert die Erregbarkeit vieler Zellen und damit auch die Wirkung bestimmter Hormone (z.B. der Schilddrüsenhormone).

Die gesamte Stoffwechselleistung sinkt zunehmend.
Diese negativen Auswirkungen werden zunächst durch die hohen Mengen an Stresshormonen kompensiert, aber irgendwann gelingt diesem dem Körper nicht mehr und die Nebenniere kann einfach nicht mehr.

Und dann wird es unerquicklich:

Ständige Müdigkeit, eiskalte Hände und Füße, schlechte Cholesterinwerte (da kaum noch LDL zu Steroidhormonen umgewandelt wird), niedrige Leukozyten und eine insgesamt schlechte Immunantwort, Haarausfall, dunkle Augenringe, Sodbrennen, schmerzempfindliche Zähne und krampfartige Magenschmerzen können die Symptome sein. Gleichzeitig erfolgt wieder eine Gewichtszunahme, da die Schilddrüsenhormone nicht mehr richtig wirken und der gesamte Stoffwechsel auf Sparflamme läuft. Das Fett wird dann zudem meist ungünstig am Bauch angelagert.

Viele versuchen es jetzt mit noch weniger Kohlenhydraten und die Spirale verschärft sich weiter.
Auch bei hoher Kalorienaufnahme z.B. in Form von Fett, kann es zu Symptomen ähnlich der Anorexie kommen: Lanugobehaarung, Fatigue (extreme Erschöpfung), Gastroparese (Magenentleerungsstörungen), schwerer Vitamin B12-Mangel durch Fehlfunktion der Belegzellen und noch einiges andere mehr. Wird dies mit zum Teil extremem, körperlichem Training kombiniert, kann im schlimmsten Fall der Herzmuskel angegriffen werden.

Hilft hier ein „Cheat-day“?

Leider nein. Sind die Nebennieren bereits in einem Kreislauf der Fehlfunktion, so wird dieser durch extreme und vom Körper nun nichts mehr zu bewätigenden Blutzuckerspitzen noch verstärkt.
Extreme Müdigkeit, starkes Zittern, massiver Durchfall, schwere Stimmungslabilitäten und anderes können die Folge sein. Zudem werden die Nebennieren nur noch mehr belastet, da dem Körper die zur Bewältigung großer Zuckermengen nötigen Enzyme fehlen und die Nebennieren somit einen großen Teil der Regulation übernehmen müssen.

Fazit also: Weniger radikal ist manchmal mehr…. Schließlich wollen wir doch alle nicht nur schlank, sondern möglichst auch gesund sein.

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Quellen:

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Bisschop, P. H., De Sain-Van Der Velden, M. G., Stellaard, F., Kuipers, F., Meijer, A. J., Sauerwein, H. P., & Romijn, J. A. (2003). Dietary carbohydrate deprivation increases 24-hour nitrogen excretion without affecting postabsorptive hepatic or whole body protein metabolism in healthy men. J Clin Endocrinol Metab, 88(8), 3801-3805. doi: 10.1210/jc.2002-021087

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