Ratgeber
Sport bei Autoimmunerkrankungen
Autor/in:
Dr. Simone Koch (Ärztin)
geprüft von Sandy Bittner (Autoimmun-Expertin)
letzte Aktualisierung 15.02.2021
Gestern habe ich bei Instagram ein Bild von mir beim Sport gepostet und habe dazugeschrieben, dass für den Muskelaufbau bei Autoimmunerkrankungen Mitochondrien eine große Rolle spielen und da kam gleich die Frage: „Welchen Sport sollte ich denn machen? Welche Sportarten sind geeignet bei Autoimmunerkrankungen?“. Dieses Thema interessiert viele und daher greife ich diese Frage gleich mal auf.
Warum ist Sport beziehungsweise warum sind Muskeln so wichtig?
Mit dieser Frage fange ich einfach mal ganz vorne an. Die Energie unseres Körpers wird in den Mitochondrien produziert. Mitochondrien sind kleine Tierchen, die in unseren Zellen wohnen. Es ist tatsächlich so! Es gibt die Eukaryoten-Theorie, die inzwischen als relativ bewiesen gilt. Vor sehr, sehr langer Zeit kam es zu einer Symbiose von tatsächlichen Einzellern und Prokaryonten, die wir in unsere Zellen aufgenommen haben und dadurch eben die Lebensqualität oder das, was an Energie-Output stattfindet kann, deutlich verbessert haben.
Das führt dazu, dass die ein eigenes Gen-Material haben, was auch unabhängig von allem anderen vererbt wird und dass sie sehr anfällig sind für Schäden und Probleme. Wenn die nicht richtig funktionieren oder wenn man nicht genug davon hat, dann hat man auch keine Energie. Dann ist man einfach müde, erschöpft, fertig.
Dieser Zustand kommt vielen wahrscheinlich ziemlich bekannt vor. Das Problem ist, dass man aufgrund der Müdigkeit und Erschöpfung keine Energie und Kraft hat und man sich dadurch immer weniger bewegt und infolgedessen Muskelmasse verliert. Die Muskeln sind ein wesentlicher Träger der Mitochondrien.
Und wenn man gerne erreichen möchte, dass die Mitochondrien-Dichte und die Qualität der Mitochondrien zunimmt, sprich dass die größer werden und mehr Energie pro kleinem Mitochondrien produzieren können, dann sollte man Sport treiben und seine Muskelmasse erhöhen. Zum einen sollte man das voll ausreizen, also die Energie einmal ganz verbrauchen. Weil der Körper diesen Reiz braucht um zu erkennen: „Okay, da sollte ich ein bisschen mehr machen.“ Und zum anderen: je mehr Muskeln wir haben, desto mehr Mitochondrien haben wir auch, die da entsprechend mit rangehen können.
Welche Sportarten solltest du machen?
Nach Möglichkeit sollte es eine Sportart sein, die tatsächlich auch Muskeln aufbaut. Ausdauersport tut dies nicht! Ausdauersport baut natürlich ein wenig Muskeln auf aber nur bis zu einem gewissen Grad. Und wenn dieser Grad überschritten ist, baut Ausdauersport kaum noch Muskeln auf. Wenn du dir die 10.000-Meter-Läufer anschaust kannst du sehen, dass nicht viel Muskelmasse vorhanden ist. Ausdauersport reduziert den Stoffwechsel tatsächlich, er kann den Grundumsatz deutlich mindern.
Das bedeutet auch gerade für Schilddrüsenpatienten, die ohnehin schon einen reduzierten Stoffwechsel haben, dass Ausdauersport ungünstig ist.
Und er kann insgesamt dazu führen, dass der Körper das Gefühl hat, mehr einlagern zu müssen, weil so ein hoher Verbrauch während der Belastung stattfindet. Wir merken uns also: Ausdauersport verbraucht während der Belastung und außerhalb der Belastung besteht ein deutlich niedriger Verbrauch. Was wir gerne möchten ist, immer ein guter Verbrauch. Und hierfür ist das Entscheidende: Muskelaufbau.
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Wie kannst du am besten Muskeln aufbauen, ohne dich deutlich zu überlasten?
Sehr effektiv ist hier Langhantel-Training beziehungsweise Freihantel-Training, also Training mit Hanteln, möglichst im Stehen. Warum? Wann immer du eine Übung im Stehen ohne große Unterstützung durchführst, also ohne dass du in einem Gerät fixiert bist, kommt es dazu, dass der ganze Körper angespannt ist. Wenn du mit der Langhantel „ziehen“ machst (aufrecht stehend oder stehend), dann musst du vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen alles anspannen, um die Übung sauber ausführen zu können. Es ist eine hohe Belastung für den Sehnen- und Knochenapparat, was zu einer Zunahme der Knochenmasse führt und zu einer deutlichen Bekräftigung der Sehnen. Ein häufiges Problem bei Autoimmun-Patienten ist, dass es zu einem Knochenmasseverlust kommt und dass auch die Struktur der Sehnen nicht mehr richtig aufgebaut wird.
Außerdem wird auch während einer sehr kurzen Belastung wie zum Beispiel fünf Wiederholungen mit einer Langhantel mit einem relativ hohen Gewicht fast alles, was an Energie in dem Augenblick in unserem Körper enthalten ist, verbraucht. Das ATP (Adenosintriphosphat, die kleinste Einheit an Energie, die in unseren Mitochondrien produziert wird) reicht nur für wenige Sekunden, wird dann verbraucht, der Körper erkennt das und denkt: „Oh, wir sollten vielleicht die Gesamtproduktion erhöhen“ und produziert mehr Mitochondrien. Soweit die Idee. Also deswegen ganz gut und die Belastung ist so kurz, dass die Nebennieren damit nicht eingeschaltet werden. Und das ist auch einer der wesentlichen Punkte bei Autoimmunerkrankungen.
Sport sollte keine Nebennierenbelastung verursachen, außer es geht dir so richtig super. Du bist stabil und alles funktioniert einwandfrei. Dann kannst du auch wieder Ausdauersport machen. Und einige wissen, dass ich im Sommer versucht habe, wieder mit dem Laufe anzufangen, was auch – solange es mir gut ging – funktioniert hat. Aktuell würde ich zum Beispiel nicht laufen wollen und das mache ich auch nicht.
Es wird oft nach High Intensity Training gefragt. Das ist eine gute Möglichkeit, wenn man mit ganz wenigen Einheiten anfängt. Also wenn man zum Beispiel Tabata-Training macht, wäre meine Empfehlung, dass man wirklich nur vier Einheiten macht. Erst einmal am Anfang eine Minute und dass man sich ganz langsam steigert und nach Möglichkeit erst einmal – also zumindest, wenn der Verdacht besteht, dass irgendetwas mit den Nebennieren vielleicht problematisch sein könnte – nicht länger als vier Minuten. Sollte das super funktioniert, dann kannst du langsam hochgehen zu den eigentlichen Tabata-Intervallen zu acht Minuten. Länger sollte es eigentlich nicht sein.
Die Idee hinter High Intensity Training ist, dass es wirklich kurze, knackige Einheiten sind. Ganz, ganz wichtig: Es darf hinterher Erschöpfung auftreten. Die sollte nicht länger anhalten als 24 Stunden. Wann immer sie länger anhält als 24 Stunden war es definitiv zu viel und sollte beim nächsten Mal vorsichtiger und weniger gemacht werden.
Dass es erst einmal zu Erschöpfungszuständen kommt, ist völlig normal. Warum ist das so? In dem Moment, in dem die Energie komplett aus dem Körper rausgenommen und ausgereizt wird, erkennt der Körper das und denkt: „Okay, hier gibt es anscheinend einige Mitochondrien, die machen ihren Job nicht so richtig gut.“ Und wie jeder gute Chef schmeißt er die dann raus. Und das können bis zu 30 Prozent der Mitochondrien sein.
Das heißt, man hat erst einmal einen Verlust von 30 Prozent. Dadurch ist man wesentlich müder und schlapper als vorher. Dann wird aber nachproduziert und die nachproduzierten Mitochondrien, die sind hoffentlich deutlich fitter und besser drauf als die vorher und können deswegen mehr Energie produzieren. Und das merkt man dann auch. Dieser Prozess dauert etwa zwei bis drei Wochen.
Während dem Prozess des Muskelaufbaus habe ich das immer mit einer Bioimpedanzmessung geprüft und ich habe tatsächlich in diesem Prozess, wo ich mich unheimlich viel mit dem ganzen Thema beschäftigt habe, insgesamt neun Kilo Muskelmasse aufgebaut. Ich persönlich glaube, dass das ein ganz wesentlicher Teil daran war, dass es mir so viel besser geht und dass ich viel mehr Energie zurückgewonnen habe.

Ist Muskelaufbau mit Gerätetraining sinnvoll?
Natürlich! In der Startphase, wenn du dich mit allem anderen unwohl fühlst, sind Geräte auf jeden Fall sinnvoll. Wichtig ist eben auch: Langhantel- und Freihanteltraining muss von einem hochqualifizierten Trainer angeleitet werden. Es ist wichtig, dass man das möglichst perfekt erlernt. Insbesondere dann, wenn man ein schlechtes Körpergefühl hat. Sich das selbst beizubringen ist fast unmöglich.
Inzwischen gibt es aber ganz gute Möglichkeiten, indem man sich selber filmt oder YouTube-Videos anschaut, in denen erklärt wird, wie das Training aussehen soll. Dann sollte man sich wieder selber filmen und mit kleinen Gewichten anfangen, solange, bis man die Übung richtig verstanden und gelernt hat. Grundsätzlich – vor allen Dingen am Anfang – solltest du dir zwei bis vier Stunden einen guten Trainer nehmen und dir die Übungen richtig zeigen lassen. Aber dann ist Freihanteltraining viel effektiver als Gerätetraining. Denn Gerätetraining kann extrem frustrierend sein, weil man nicht so vorankommt.
Sonstige Sportarten
Yoga und Pilates sind ideal, um den Cortisol-Spiegel herunterzubringen, um Entspannung zu erreichen und auch um moderat Muskeln aufzubauen. Bezüglich Muskelmasse und dem, was du erreichen willst, bringt es leider nicht viel auch wenn Yoga wahnsinnig anstrengend sein kann. Ich hatte so ein Schlüsselerlebnis, wo ich in der Schwangerschaft dachte, ich mache mal etwas Leichtes und bin zum Power-Yoga gegangen. Das war der anstrengendste Kurs meines Lebens und ich habe völlig versagt. Ich weiß, dass Yoga extrem anstrengend sein kann und es gibt ungeheuer durchtrainierte Yogis aber es ist eine andere Form von Muskeln als die, die wir gerne haben wollen, um die Mitochondrien-Dichte und Mitochondrien-Größe zu verbessern.
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Dabei kommt es aber darauf an, wie intensiv man das betreibt. Power-Yoga, Callanetics, Body Weight Sachen können auch extrem effektiv sein. Aber man erreicht nicht so schnell so ein deutliches Ergebnis, wie man mit Gewichten erreicht. Plus: Dadurch, dass man kurzfristig so schwer ist – wenn ich Squads mache, zum Beispiel mit 40, 50 Kilo, dann wiege ich ja kurzfristig über 100 Kilo – müssen sich Sehnen und Knochen so anpassen, als würde man 100 Kilo wiegen. Übergewichtige Menschen würden niemals Osteoporose bekommen. Zumindest wenn nicht irgendetwas anderes völlig aus der Bahn ist. Und das ist das, was wir mit Gewichten erreichen können, was sehr hilfreich ist bei Autoimmunerkrankungen, wenn da eine Neigung zum Knochenmasse-Abbau besteht oder zur Schmerzhaftigkeit und zu lockeren Sehnen. Das Problemen mit insgesamt sehr lockeren, leicht beweglichen Sehnen ist, dass dies zu Bandscheibenvorfällen und Bänderrissen führen kann.
„Ich fühle mich bei jeder Sporteinheit wie grippekrank.“ Das ist ein typisches Zeichen dafür, dass die Nebenniere die Belastung nicht schafft. Dass die Nebenniere entweder mit einer viel zu hohen Cortisol-Ausschüttung auf die Sporteinheit reagiert oder gar nicht hinterherkommt. Ganz oft geht das mit einer Schwellung der Lymphknoten und leichten Halsschmerzen und dem Gefühl, als würde man eine Mandelentzündung kriegen, einher. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass das vorbeigeht, wenn man stabiler wird. Auch hier eignet sich Krafttraining super, denn bei Krafttraining tritt das meistens nicht auf.
Ein Zirkeltraining kann auch ideal sein. Ich persönlich bin ein ganz großer Freund von einer hochindividualisierten Trainingsform, also das man für sich herausfindet, was für einen am besten passt. Das ist aber auch leider immer mit Kosten verbunden, wenn du dir am Anfang einen Trainer suchst, der für dich speziell das herausfindet.
Sollte man mit einer Autoimmunerkrankung Skifahren?
Skifahren ist extrem anstrengend. Eine unheimliche Belastung durch die Kälte und das Skifahren selbst ist einfach eine heftige Ausdauerbelastung. Das kann für die Nebennieren ganz schnell zu viel sein. Also daher: Skifahren eher kurz. Viele fahren dann ja sehr lange und das macht ganz viel Spaß und deswegen merkt man gar nicht, wie unangenehm, also wie heftig ausgepowert man ist. Genau das ist das Problem. Es spricht überhaupt nichts dagegen. Macht alles, was euch Spaß macht und was euren Stress reduziert. Versucht das zu machen, das finde ich sehr wichtig. Aber passt gut auf euch auf, wenn ihr Skifahren geht.
Lieber ein bis zwei Stunden und schauen, dass es nicht zu viel wird, ob es für euch hinhaut und ihr euch danach noch gut fühlt, ob das Wohlbefinden am nächsten Tag auch noch vorhanden ist. Ein besonders großer Punkt ist die Kälte. Wenn man sich in dauerhafter Kälte bewegt, fordert das die Nebennieren noch zusätzlich. Ganz wichtig für alle, deren Nebenniere es fantastisch geht: macht bitte, was immer ihr möchtet. Wenn ihr Marathon laufen möchtet und es geht euch damit gut, dann tut es! Jeder Sport ist besser als gar kein Sport. Man sollte einfach Spaß bei den Dingen haben. An Sport ist bei dir momentan nicht zu denken? In unserem Abnehmcoaching wirst du Schritt für Schritt dabei begleitet, Bewegung und Sport trotz Autoimmunerkrankung wieder in deinen Alltag zu integrieren.